Tilke Platteel-Deur

Die Kunst der integrativen Atemtherapie

Warum wirkliches Wachstum Verbindlichkeit und Zeit braucht

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In einer Zeit in der immer schneller und oberflächlicher kommuniziert wird, kurzfristige Lösungen gesucht werden, Unterschiede zwischen Menschen größer werden und Beziehungen immer kürzer dauern, entsteht ein Verlangen nach Verbindlichkeit, Zeit und Engagement – vor allem bei der Bewusstseinsarbeit.

Der Geist ist zwar schnell aber der Körper ist langsam.

Ein Neugeborenes braucht viele Jahre bis zum erwachsen werden auch wenn junge Menschen oft denken, dass sie ganze Entwicklungsstufen überschlagen können. Wachstum, Entwicklung und Einsicht brauchen Zeit um wirklich inkorporiert zu werden.
Liebevolle Beziehungen brauchen Aufmerksamkeit und Langsamkeit.
Um das Leben wirklich zu Er-Leben müssen wir in diesem Hier und Jetzt anwesend sein. Und das bedeutet Hier & Jetzt und nicht gestern oder schon Übermorgen.
Gerade Bewusstseinsarbeit braucht in Zeiten von Angst und Unruhe auf der Welt ein sehr großes Commitment (Verbindlichkeit).

Wachstum braucht Zeit

Seit mehreren Jahren wird es immer normaler, dass Menschen aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft sich mit ihrer inneren Entwicklung beschäftigen.
Es gibt zahlreiche Kurse und Trainings, die in kurzer Zeit mehr Kreativität, Kraft, Erfolg, Glück und spirituelles Wachstum versprechen.
Meiner Meinung nach gibt es aber keine „Schnellstraße zur Erleuchtung“. Die menschliche Psyche ist so komplex, und unsere Überzeugungen und Ängste sind oft so tief vergraben, dass es mehr Zeit braucht als nur ein Wochenende, um eine wirklich ausbalancierte Persönlichkeit zu entwickeln.
Diese Überzeugung war ein der wichtigsten Gründe, dass mein Kollege Hans Mensink und ich uns 1979 entschieden ein mehrjähriges Trainingsprogramm zu entwerfen.

Unsere schnelle Zeit

Wir leben in einer wahnsinnig schnellen Zeit. Kommunikation geht schneller und oft oberflächlicher als je zuvor; wir wissen sofort was auf der anderen Seite der Erde passiert. Unterschiede zwischen Menschen werden größer und Beziehungen und geschäftliche Verbindungen gehen immer leichter auseinander. Wir können in wenigen Stunden enorme Abstände überbrücken und meinen, dass unsere Körper das leicht aushalten. Kinder werden schneller erwachsen, oder wenigstens meinen sie das. Wir suchen schnelle Erfolge. Unsere materiellen Sachen werden immer flotter ausgetauscht. In so einer Zeit entsteht Verlangen nach Commitment, Engagement und Verbindlichkeit.

Noch immer aber braucht ein Baby neun Monate um geboren zu werden. Und vor allem braucht es Menschen die es versorgen und nähren, die es hüten und lieben, damit das Kind in Ruhe heranwachsen kann.
Noch immer ist der Körper durcheinender nach einem langen Flug, auch wenn wir ihm extra Melatonin geben und damit die Folgen des Fluges vertuschen.
Liebevolle Beziehungen brauchen -wie schon gesagt – Aufmerksamkeit und Langsamkeit. Noch immer braucht es Zeit Menschen kennen und lieben zu lernen. Und der Körper braucht noch genau so dringend ‚a slow hand and an easy touch‘ statt schnellem Sex.
Könnte es sein, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben noch immer Zeit, Langsamkeit, Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit brauchen? Brauchen wir diese mehr weibliche Energie um Liebe und Zuwendung für uns selber – und für das was wir tun – in unser Leben zu bringen?

Das Atemtraining

Wir wollten mit unseren Teilnehmern in die Tiefe gehen. Wir könnten die notwendigen Kenntnisse sehr wahrscheinlich in ein paar Tage vermitteln. Die wirkliche Verkörperung dieser Kenntnisse braucht aber Zeit. Der Geist ist zwar schnell und willig aber der Körper ist meistens langsam.

Wir haben damals sehr bewusst entschieden ein längeres, mehrjähriges Trainingsprogramm zu entwickeln. Überall um uns herum sahen wir Trainer, die kurze Seminare von zwei bis fünf Tagen gaben. Wir sahen darin eine große Gefahr sowohl für die Teilnehmer als auch für uns – die Trainer – selbst.
Die damaligen Trainer kamen und gingen wieder. Sie brachten ihre Teilnehmer auf ein hohes Energielevel und dann gingen sie dahin zurück woher sie gekommen waren. Sie waren nie in der Lage zu sehen, dass die Teilnehmer manchmal in ein tiefes emotionales Loch fielen, einfach deshalb, weil die Einsichten, die gewonnen wurden, nicht ins normale tägliche Leben integriert wurden. Integration braucht Zeit!
Damit auch die Trainer ihren eigenen Wachstumsprozess verwirklichen und darauf aufbauen können, müssen sie ihren Teilnehmern die Möglichkeit geben, sie genauso gut kennen zu lernen, wie sie ihre Teilnehmer kennen, damit sie ehrliches Feedback von ihnen bekommen können. Auch das braucht Zeit!

Ein Student am Konservatorium studiert ungefähr 2000 Stunden pro Jahr. Ein Konzertpianist muss – um wirklich gut zu werden – viele tausende Stunden üben. Ein guter Koch probiert und probiert bis er die perfekte Kombination von Zutaten für ein Gericht gefunden hat. Ein Chirurg studiert Medizin für sechs Jahre und spezialisiert sich dann nochmals sechs weitere Jahre. Sie sind alle entschieden, motiviert und halten durch.
Eine normale Lehre für irgendeinen Beruf dauert drei Jahre.
Wieso würde eine Lebensschule – wie Das Atemtraining- nicht auch wenigstens drei Jahre dauern? Wie können wir denken, dass unsere tiefsten Überzeugungen und alten Ängsten, die sich über Jahre in uns festgesetzt haben, im Nu gelöst und integriert werden können? Warum würden wir erwarten, dass das wirkliche Leben aus lauter „quick fixes“ bestehen und in Windeseile gelebt werden kann?

Wir haben alle mit hinfallen und aufstehen Laufen gelernt. Zwei wichtige Faktoren waren dabei unerlässlich: Wir waren anscheinend fest entschieden es zu lernen und Mama hat uns immer wieder bei einem weiteren und gelungenen Schritt bestätigt. Wir haben aber immer selber geübt!

Sind wir bei dem was wir heute anstreben noch immer genau so entschieden? Sind wir heute genau so abhängig von den kleineren und größeren Bestätigungen, wenn wir etwas unternehmen? Und verlangen wir die Bestätigung möglich jetzt gleich? A quick fix? Wir sind aber keine Kinder mehr und Mama ist weit weg. Wir müssen also lernen uns selbst die Anerkennung und Bestätigung zu geben die wir brauchen.
Auch sind wir manchmal gar nicht mehr so richtig entschieden etwas anzupacken. Und so leisten wir wiederholt gerade das Notwendige und geben uns zufrieden mit einem schnellen Gewinn und oft sogar mit Mittelmäßigkeit.

Wir sind nicht mehr so willig wirklich zu üben.

Zur gleichen Zeit ist irgendwo tief in uns das Verlangen versteckt, etwas in diesem Leben zu bewirken, das dauerhaft und von wirklicher Bedeutung ist.
Um die Bedeutung des Lebens zu definieren, braucht unser Leben eine deutliche Richtung damit wir den Sinn entdecken können. Leider haben die meisten Menschen keine Ahnung mehr vom Sinn ihres Lebens oder von der Richtung die ihr Leben nehmen sollte. Wie konnte dies passieren?

Die alte Wunden aus der Kindheit

Weil wir alle als Kinder erwartet haben bedingungslos geliebt zu werden, und weil wir darin alle enttäuscht worden sind, leben wir mit emotionalen Narben die uns im Leben in vielerlei Formen wie Angst, Wut oder Kummer behindern. Genau die Gefühle sind oft tief vergraben. Sie brauchen eine Atmosphäre von Respekt, Liebe und Sicherheit um an die Oberfläche zu kommen, um endlich zu Ende gefühlt und geheilt und integriert zu werden. Das braucht Zeit und Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit.

Stattdessen sind wir, meistens unbewusst von der Tiefe unserer alten Verletzungen, beschäftigt mit überleben. Wir versuchen das was in uns ist und sich oft so entsetzlich ungemütlich anfühlt, so schnell wie möglich loszuwerden, indem wir die unterliegenden Gefühle weiter unterdrücken. Wir probieren indem wir darüber nachdenken und reden (drüber hinweg denken und drüber hinweg reden, statt hinein zu reden und zu fühlen) das alles gar nicht zu empfinden. Wir projizieren unsere ungemütlichen Gefühle auf andere, schieben denen die Schuld zu und sind deswegen oft eingeengt in unseren eigenen Urteilen. Dies alles lässt uns vergessen wozu wir eigentlich hier sind. Wir sind wie gefangen in dem Zug der fortrasenden Zeit.

‚A quick fix‘ – eine schnelle Lösung

Wie können wir das Gefühl haben etwas von Bedeutung gemacht oder beigetragen zu haben, wenn es keinen wirklichen Einsatz und keine Zeit gekostet hat? Auch in der Natur erinnert uns alles kontinuierlich daran, das Bedeutungsvolles Zeit braucht: Bäume brauchen Zeit groß und stark zu werden. Tiere brauchen Zeit das Überleben und das Jagen zu lernen.
Wenn wir also ‚a quick fix‘ – eine schnelle Lösung – erreichen und irgendwo hindurch rasen für einen nur vorübergehenden Erfolg, dann fühlen wir uns als ob wir das Leben selbst betrügen. Vielleicht fühlen wir uns eine Weile freudig erregt, wie wenn wir die Zeit heimlich schneller vorbei gehen lassen konnten. Aber das Gefühl von Erfolg hält nicht an. Es scheint billig und nicht verdient, weil wir in den Fasern unseres natürlichen Seins wissen, dass dieses Schnelle nicht natürlich ist.

Wenn wir etwas anstreben ohne Einsatz, wirkliche Aufmerksamkeit und Seele, können wir kaum erwarten, dass etwas wirklich Wertvolles dabei rauskommt.

„Diese ‚quick fixes‘ sind wie Drogen; ein kurzes und erheiterndes High und dann ein Tief, wenn es uns klar wird, dass wir mehr von uns selbst erwartet hatten. Und trotzdem machen wir immer wieder das Gleiche, aus einem Denkfehler heraus der genau das Umgekehrte ist von unserer ursprünglichen Intention.“  (Aus einem Gespräch mit Lauren Dobson)

Langsam und lang zusammen

Wir wollten in unserem Training so „langsam“ werden und so „lang zusammen“ bleiben, es so lange dauern lassen, dass die Teilnehmer die Erfahrungen und neuen Erkenntnisse nicht nur intellektuell verstehen, sondern alles mit Leib und Seele erfassen.

Dabei spielt eine wichtige Rolle, wie gut es uns gelingt, neue Erfahrungen, die wir während eines Trainings oder in einer therapeutischen Einzelsitzung gemacht haben, in unseren Alltag zu integrieren. Und die Tatsache ist: Da sind wir meistens gar nicht so gut drin!
Neue Verhaltensweisen müssen nach und nach eingeübt werden. Dieser Prozess nimmt in der Regel eine längere Zeit in Anspruch. Respekt für das Tempo der Entwicklung der Menschen ist daher äußerst wichtig.

In unserem dreijährigen Training wird durch die längere Zusammenarbeit mit einer festen Gruppe der sichere Rahmen geschaffen, um die vielen Seiten der Persönlichkeit in der Tiefe erfahren zu können.
Wir möchten mit unserer Arbeit Menschen dabei unterstützen, ein Bewusstsein zu entwickeln, das sowohl Zugang hat zu innerer Kraft und Kreativität als auch zu Verletzlichkeit und Spiritualität. Bewusstseinsentwicklung ist ein Prozess, der immer weiter geht. Unser 3-jähriges Training ist daher nur eine Basis, ein Anfang.

Um die Energie des neu Erfahrenen immer weiter fließen zu lassen, muss es seine Ausdrucksform in der Welt und im alltäglichen Leben finden.

Der größere Plan

Wir gehen davon aus, dass der Mensch als Einheit von Geist und Seele einen Körper gewählt hat, um Erfahrungen zu machen.
Je mehr wir uns mit dem Körper verbinden, desto besser erfahren wir das Leben im Hier und Jetzt.
Je mehr wir uns trauen, unsere Gefühle zu integrieren, desto mehr Einsichten bekommen wir in die Art und Weise, wie unsere Gedankenmuster unser Leben bis heute geformt und „gefärbt“ haben.
Je mehr Bewusstsein entsteht, desto mehr Verantwortung können wir übernehmen für die Art und Weise, wie wir durch unsere eigenen Gedanken unsere Emotionen und Lebensumstände schaffen.
Wenn wir unsere Beschränkungen integrieren und zu unserem wirklichen Wesen zurückfinden, lernen wir, wieder auf die Stimme der Seele zu hören, die uns die Richtung und den Sinn des Lebens angibt.

Männliche und weibliche Energie

Die Geschwindigkeit unserer Zeit, der Versuch nicht zu fühlen und gleichzeitig zu probieren schnelle und eher oberflächliche Lösungen zu finden ist es aus einer männlichen Energie heraus zu leben.
Was wir alle, Männer sowohl als Frauen, brauchen ist, dass wir wieder mehr aus unsere weibliche Energie heraus leben. Das bedeutet, dass wir uns Zeit nehmen zum Ausatmen und zum Entspannen und das wir wieder auf unserem Körper hören. Dass wir unsere Emotionen nicht mehr bei andere abladen oder sie ausagieren müssen. Es bedeutet sie wirklich zu empfinden und zwar komplett und ganz.
Es gibt keinen besseren Platz dies zu tun als in unserem Körper mit dem verbundenen Atem.

Das verbundene Atmen

Das verbundene Atmen ist fähig uns auf sichere und sehr einfache Art wieder in Kontakt mit unserem Körper und somit mit unseren Gefühlen zu bringen. Wenn wir die Aufmerksamkeit auf den Atem richten, zwingt das unser Bewusstsein in den Körper. Wir sind dann wachsam und achtsam anwesend im Hier und Jetzt.
Der verbundene Atem macht es möglich uns als spirituelle Wesen zu erfahren. Wesen, die in einem Körper wohnen, und die in Kontakt sind mit dem was größer ist als wir. Gott oder auch das Leben selbst.

Präsenz

Wenn wir wirklich anwesend und wachsam im Körper sind – wo wir hingehören – wenn wir den Körper wirklich bewohnen – dann fühlen wir die Realität statt sie zu denken oder zu überdenken. Dann sind wir präsent und in Kontakt mit uns selbst, aber auch in Verbindung mit unseren Mitmenschen. Dann können wir die Welt wieder gefühlsmäßig wahrnehmen. Und zwar so sehr, dass es uns praktisch unmöglich wird anderen lebenden Wesen weh zu tun. Dann sind wir so sehr in Kontakt mit dem jetzigen Moment, dass unser Empfinden der natürlichen Zeitabläufe wiederhergestellt wird.

Dann lernen wir wieder auf unser Herz zu achten, auf die Verletzlichkeit in uns und die Liebe im Herzen, und auch auf die Weisheit und die Kraft die in unserem Herz ruht.
Wir dürfen lernen unserem Herz zu vertrauen statt unserem Kopf. Der Verstand lebt immer in der Vergangenheit die auf Erinnerungen basieren. Das Herz ist präsent und das Herz schlägt im Jetzt.
Wir dürfen die Weisheit von Herzen empfinden. Die jahrtausendealte Weisheit die uns alle miteinander verbindet.

Eine Weisheit die lange Zeit gebraucht hat sich zu entwickeln. Lasst uns wieder wirklich die Zeit nehmen, unsere eigene innere Entwicklung in die Hand zu nehmen. Uns dafür genügend Zeit zu nehmen unseren Atem sich entfalten zu lassen, wie ein Schmetterling aus dem Kokon. Lasst uns Zeit nehmen für unsere eigene persönliche, spirituelle Praxis, jeden Tag.

Wenn wir unsere Innenwelt versorgen, die ja ein Abbild von unserer Außenwelt ist, tragen wir bei an der Heilung von Innen und Außen.
So können wir verbindlich sein, und unseren Beitrag leisten.

Das braucht Zeit und eine tiefe Verbindlichkeit dem Leben selbst gegenüber.

 

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PDF English: A-Quick-Fix-or-Deep-Growth_Tilke-Platteel-Deur.pdf

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